Die Interviewreihe #flächenglühen stellt regelmäßig Kreativschaffende aus städtischen und ländlichen Räumen Sachsens vor. Erfragt werden Gründungsintensionen, Unternehmensphilosophien sowie Herausforderungen und Chancen aus der Innenperspektive.
Dieses Mal steht Rayk Grieger im Mittelpunkt des Interviews. Einer, der das kulturelle Erbe sichert, an Traditionen denkt und trotzdem nach vorne, nachhaltig und visionär agieren kann. Ein langes, aber sehr intensives Gespräch:
Guten Tag, Rayk Grieger. Wir treffen uns hier im wieder neu eröffneten Jacobs Söhne in der Jacobstraße. Warum denn gerade hier? Was oder wer verbindet Dich denn mit dieser Lokalität?
Ich fühle mich schlichtweg wohl hier. Das Jacobs Söhne ist ein Format, welches ich in Görlitz immer vermisst habe. Es verkörpert für mich das, was ich unter anderem unter kreativwirtschaftlichem Denken verstehe und das aufzeigt, welche Möglichkeiten sich durch alternative Wege und Denkmodelle ergeben können. Das Café zeigt ganz plastisch und real auf, wie sich aus Notlagen, zum Beispiel: wie und wo bekomme ich günstig Raum, ohne gleich als Existenzgründer von den eigenen Nebenkosten überrollt zu werden und dem Leerstand von Häusern auf der anderen Seite, Gutes entwickelt. Es zeigt wie sich ein symbiotisches Modell zwischen dem, der braucht und dem, der hat, entwickeln und realisieren kann. Schlussendlich geht es um ein nachhaltiges und ausgewogenes wirtschaftliches Gleichgewicht. Dazu muss man sich für neue Wege öffnen und vertrauen lernen. Das ist hier gerade auch in Kombination mit dem Laden nebenan sehr gut gelungen. Zudem hat es den vorher eher tristen Straßenzug unheimlich belebt.
Und wie wirkt sich diese kreative Philosophie aus?
Mittlerweile gibt es auch schon neue Ladenkonzepte, die sich hier angesiedelt haben und weitere Ideen, die Straße zu beleben sind in Planung. Es ist für mich eine neue Art der Entwicklung in der Stadt. Es ist schön zu erleben wie Kommunikation über die Straße hinweg stattfindet, wo junge Menschen sind, die es ja angeblich in Görlitz nicht gibt, was übrigens völliger Blödsinn ist. Und eben diese jungen Menschen bilden nun mit ihren Ideen wiederum neue Plattformen und eine Attraktivität für weitere junge Menschen. Es sind Menschen, die zu dieser Stadt stehen, die das Potential, das die Stadt hat, erkannt haben und die Zukunft gestalten wollen. Vielleicht entwickelt es sich hier alles nicht so schnell wie in den Metropolen, aber das muss es auch nicht. Wenn man sich auf den Rhythmus der Stadt einlässt, hat eine gewisse Gediegenheit auch ihre Qualität. Grundsätzlich ist es ein nicht ganz unwesentlicher Teil von moderner Stadtentwicklung.
Also ist Görlitz ein guter Ort um frei zu arbeiten? Besonders hier das Umfeld in der Jacobstraße?
Ja, wenn ich im Atelier oder am Rechner arbeite, dann kann ich für den kleinen Hunger hier schnell rumkommen. Außerdem bekomme ich hier einfach gutes Essen, das auch meiner Überzeugung entspricht. Zudem kennt man sich hier, die Stadt ist ja dafür sehr übersichtlich geschaffen. Ein wenig Essen, ein wenig Plaudern und dann entspannt zurück zur Arbeit. Das hat auch etwas mit Lebensqualität zu tun und zudem werde ich durch diese Atmosphäre hier auch für eigene Ideen immer wieder inspiriert.
Ich weiß, dass Du anfangs einen Realschulabschluss hattest. Jetzt hast Du ein Diplom in Restaurierung. Kannst Du uns etwas über Deinen Bildungsweg erzählen?
Das stimmt. Ich habe 1995 meinen Realschulabschluss gemacht und da ich mich schon immer mit kreativen Dingen beschäftigt hatte, wollte ich eigentlich in die Werbung, was aber im Osten und gerade in der kleinen Klitsche, wo ich aufgewachsen bin, für diese Zeit eher aussichtslos war. Also folgte ich den Empfehlungen des Arbeitsvermittlers für Lehrstellen und begann eine Lehre als Maler und Lackierer. Da ich mit der Ausbildung aufgrund von Unterforderung eher unzufrieden war, überlegte ich, wie ich darauf aufbauen und mich weiterentwickeln kann. Ich begann, über die Restaurierung nachzudenken. Dafür gab es zwei Möglichkeiten, einmal auf der handwerklichen Ebene oder eben über das Studium. Und da ich Freunde hatte, die schon studierten und ich das auch irgendwie aufregend fand, kam für mich nur das Studieren in Frage. Dafür musste aber ein Abitur her. Also habe ich meine Fachhochschulreife für Gestaltung in Dresden nachgeholt. Was aber für einen Studienplatz immer noch nicht reichte, denn um Restaurierung studieren zu können, bedarf es der Erfüllung so einiger Kriterien.
Kannst Du da bitte etwas genauer werden?
Erste Grundvoraussetzung war: es musste erst mal ein zweijähriges Vorpraktikum her, das ich bei zwei Restauratoren in Dresden absolvierte. Dazu kam noch die Einreichung einer sehr komplexen Zeichenmappe an der Hochschule, die dann bewertet und erst mit deren Bestehen man zum Aufnahmetest eingeladen wurde (je nach Studienort 1-3 Tage). Hat man dann bestanden, musste man sich dann noch gegen die horrende Zahl von Mitbewerbern durchsetzen. Wenn man sich also gut angestellt und dann noch etwas Glück hatte, wurde man aufgenommen. Ich hatte wohl von beiden etwas und ging nach Erfurt.
Vielfach zeigt sich jedoch, dass die – gerade an Deinem Beispiel zu sehende – Durchlässigkeit nicht so funktioniert. Viele sprechen gar, aus Erfahrung, von Betondecken zwischen den Bildungsabschluss-Milieus. Was hat bei Dir so gut geklappt? Welche Vorteile hattest Du?
Ich bin jeden Schritt zum nächsthöheren Ausbildungsgrad durchlaufen, die ganze Tippeltappeltour. So konnte ich auf jeder Ebene Erfahrungen sammeln, auf die ich immer wieder zurückgreifen kann. Das hilft sehr dabei, aus verschiedenen Perspektiven Situationen auch reflektieren zu können. Ich bin dadurch sehr offen allem gegenüber. Es ist mir wichtig, mir nicht nur einen Begriff über das Detail zu machen. In meinem Beruf geht es – meiner Meinung nach – ja meist um eine ganzheitliche Betrachtung.
Du sagtest einmal: “Ich hatte das Glück, dass mein Umfeld immer schon einen Schritt weiter war als ich.” Wie meinst Du das?
Es ist wohl eine Zusammenspiel von Vielem. Und vielleicht auch ganz simpel, für mich jedenfalls sehr besonders. Das Verblüffende ist ja, dass dieses Umfeld einfach immer da war, ohne dass ich es suchen musste. In der Schul- und Lehrzeit hatte ich Freunde auf dem Gymnasium. Das hatte eine positive Wirkung auf mich, den Schritt zu machen, das Abitur nachzuholen und den Mut aufzubringen, meinen Weg zu gehen, was ja nicht selbstverständlich ist. Außerdem gab es Menschen, die mir wohl etwas mehr zugetraut haben. Mir einfach, in dem für sie möglichen Rahmen, den Raum gegeben haben, mich weiter zu entwickeln. Sehr früh war das mein Berufsschullehrer. Während die anderen noch rechneten, hat er mich einfach raus geschickt, um zu zeichnen. Ein großer Schub kam mit dem Abitur. Wir waren altersmäßig ein gut durchmischter Haufen aus unterschiedlichen Berufen mit künstlerischen Grundlagen und kreativen Ideen. Das war toll. So ein komprimiertes Umfeld von Kreativen kannte ich bis dahin aus meiner Heimat in dieser Form nicht. Und in den unterschiedlichen beruflichen Ausbildungen und Altersklassen gab es eben auch unterschiedliche Erfahrungsniveaus, aus denen man schöpfen konnte.
Wie äußerte sich das denn bei Dir persönlich, in Deiner Entwicklung?
Es entstand für mich ein neues Bewusstsein und ich kam zwangsläufig mit alternativen Auffassungen in Berührung, was meine bis dahin eher konservative und naive, gutbürgerliche Haltung grundsätzlich aufbrach. Während des Vorpraktikums wurde ich durch die Restauratoren sehr gut gefördert, indem sie sich auch Zeit für mich als Person nahmen. Zudem kam die Erfahrung, dass es möglich ist, zwischen dem Status Praktikant und dem Chef, basierend auf gegenseitigem Respekt und Wertschätzung, ein gutes und enges Arbeitsverhältnis auf zwischenmenschlichen Werten aufzubauen. Diese Erfahrung blieb mir in der Lehre leider völlig verwehrt. Was auch aufzeigt, welcher Anspruch damals in Standartausbildungsbetrieben vorherrschte. Beobachtet man jetzige Ausbildungsstätten, so besinnt man sich in den letzten Jahren zum Glück wieder etwas auf mehr Werte und Inhalte.
Wie muss ich mir Deinen Arbeitsablauf vorstellen? Wieviel Bürokratie und wieviel praktische Restaurierung? Was machst Du eigentlich als Restaurator ganz genau?
Ich bin spezialisiert auf die Konservierung und Restaurierung von Wandmalereien und Architekturoberflächen und somit stark in der Baudenkmalpflege eingebettet. Meine Auftraggeber sind private, öffentliche und kirchliche Bauherren. Neben den architekturgebundenen Projekten können aber auch transportable Objekte aus Museen und Ausstellung im Atelier bearbeitet werden.
Grundsätzlich geht es darum, Kunst- und Kulturgut zu erhalten und für die Zukunft zu sichern, also zu konservieren. Darauf aufbauend kommen die restauratorischen Aspekte, also kurz wie man im ästhetischen Sinn das Kunst- oder Kulturgut in sein Umfeld wieder einbettet.
Wobei sich in den letzten Jahren immer mehr herauskristallisierte, dass ich vermehrt in der Grundlagenermittlung und der Bestandsaufnahme tätig war und damit beschäftigt bin, Gebäude auf ihre bauhistorischen Zusammenhänge und kulturhistorischen Besonderheiten zu untersuchen. Aus den Ergebnissen erarbeite ich dann denkmalpflegerische, konservatorische und restauratorische Konzepte und begleite die Projekte dann teilweise auch fachlich in der Umsetzungsphase.
Die Bürokratie hält sich mittlerweile nach fast zwölf Jahren in Grenzen, es hat sich weitestgehend eingeschuggelt und ist überschaubar. Ich habe von Anfang an auf ein gutes Steuerbüro gesetzt, das mich nicht nur als Standartunternehmen sieht. Diesen für mich immer noch abstrakten Part vertrauensvoll abzugeben, kann ich nur jedem Existenzgründer wärmstens empfehlen. Es bleibt somit genug Zeit, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Du bist ja auch gut vernetzt, bist Mitglied im VDR (Verband der Restauratoren), bei den Wirtschaftsjunioren (WJ) und hast gute Kontakte zum Kreativen Sachsen (KS). Wie partizipierst Du von den Angeboten der Organisationen?
Bei dem VDR handelt es sich um meinen Berufsverband. Dieser ist somit meine einzige und auch sehr wichtige Plattform zur Ausübung meines Berufs. Bei den WJ und KS geht es um den Austausch, um die Kommunikation mit interessanten Menschen, die eben die gleichen Themen bewegen, durch ihre beruflichen Situation oder auch privat. Ich meine, wir reden ja meist über den Beruf. Ich bin ja nun aber auch Vater. Und hier finden sich auch zum größten Teil junge Mütter und Väter. Also ein wichtiges gemeinsames Thema, in einem Lebensabschnitt, dessen Kommunikation über Beruf und Familie mir äußerst wichtig und sinnvoll erscheint. Es geht natürlich auch darum, Stimmungen und Strömungen aufzunehmen, Erfahrungen auszutauschen und im besten Falle selbst Impulse zu setzen. Das Netzwerken hat ja etwas von geben und nehmen. Mit dem, was man mitnimmt, können neue Betrachtungsweisen und Ideen entstehen. Und wenn man dann wieder etwas zurückgeben kann, dann ist das doch schon einmal was Schönes. Kurzum es bereichert mein Leben.
Görlitz ist ja die Stadt an der Grenze – spielt das Miteinander mit der polnischen Seite in Deinem Arbeits- und Privatleben eigentlich eine Rolle?
Natürlich. Es spielt eine große Rolle. Wenn man hier lebt, kann man sich die polnische Seite nicht einfach wegdenken. Ich habe im engen Umfeld polnische Freunde, die in Görlitz leben. Auch mal einen Auftraggeber. Momentan das Haus Oppenheim in Wroclaw/Breslau. Eine Erfahrung, die mich gegenwärtig unheimlich bereichert. Beruflich geht es gar nicht anders. Wenn man mit Bau- und Kulturgeschichte zu tun hat, ist man allein schon aus den historischen Begebenheiten dieser Region angehalten, über die Grenzen zu schauen. Und das ist unheimlich spannend.
Und die Destruktiven? Es gibt ja auch Gegenwind.
Zur destruktiven Einstellung können durchaus auch mal Bauherren neigen. Da die Denkmalpflege immer sofort mit Mehrkosten gleichgesetzt wird, mit denen man als Bauherr durchaus konfrontiert wird. In welchem Umfang das passiert, hängt vom Status des Denkmals und von den Sanierungseingriffen ab. Meine Erfahrungen zeigen mir, dass es wichtig ist, von Anfang an in eine offene Kommunikation zu gehen und auf die richtigen Partner für die Vorplanung zu setzen. Der etwas höhere zeitliche und finanzielle Aufwand in dieser Startphase kann sich dann in der Ausführungssituation aufgrund von gut durchdachten Lösungen wieder positiv bemerkbar machen. Auch ist es möglich, hier schon im Vorfeld eine Auswahl an Förderprogrammen zu treffen, mit denen man den denkmalpflegerischen Mehraufwand, neben den allgemeinen Sanierungskosten, abfangen kann. Bei den Projekten, in die ich bisher eingebunden war, gab es immer gute Lösungen.
Ein paar Gedanken von Dir zu den Förderstrukturen in Sachsen. Wie erlebst Du diese? Welche Verbesserungen sind aus Deiner Sicht unbedingt zu gestalten?
Im beruflichen Feld habe ich oft mit Förderprogrammen für die Realisierung von Projekten zu tun. Der Freistaat Sachsen stellt jedes Jahr ein nicht unwesentliches Budget für den Denkmalschutz zur Verfügung, was ich sehr schätze und was auch eine wichtige Investition in den Freistaat ist. Leider sind diese Mittel in den letzten Jahren stetig zurückgegangen und nun mittlerweile an einem Tiefpunkt angekommen, der uns die Hände bindet. Und dann kommt es immer wieder zu Diskussionen, die Mittel ganz einzustellen, gerade eben erst wieder letztes Jahr. Zum Glück hat man sich besonnen. Hier wünschte ich mir durch den Freistaat wieder mehr Investitionskraft für den Erhalt des kulturellen Erbes. Diese finanzielle Unterstützung dient oft gerade als der Motivationsfaktor, durch entsprechende Förderungen Bauherren den Mut zu geben, in Denkmäler zu investieren.
Braucht es denn diese Motivation? Es gibt doch ein Denkmalschutzgesetz.
Der Erhalt dieses Erbes ist nicht als Luxus zu verstehen, es ist eine gemeinsame gesellschaftliche Pflicht. Mit dieser Verantwortung umzugehen trägt ja dann auch zu einer wirtschaftlichen Entwicklung bei. Der Erhalt von Baukultur, gerade dort wo sie auch flächendeckend noch vorhanden ist, gepaart mit Traditionen, Sitten und Bräuchen, ist für manche entlegenen Regionen eine wichtige wirtschaftliche Grundlage – gerade im touristischen Bereich – und wirkt identitätsstiftend. Auch fördert man ja nicht nur die Bauherren, sondern man investiert in einen wirtschaftlichen Kreislauf und stabilen Arbeitsmarkt. Sehr viele Berufe sind mit dem Spezialgebiet Denkmalschutz und dessen Umsetzung von Projekten finanziell verbunden, angefangen von Handwerkern über Ingenieure, bis hin zum Druckstudio für die touristische Vermarktung. Bestenfalls investieren diese Unternehmen dann wieder in ihre Heimat; in der einfachsten Situation beim Bäcker um die Ecke, bei dem sie wieder ihre Brötchen kaufen.
Was wünschst Du Dir konkret von den staatlichen Stellen?
Im formellen Ablauf wünschte ich mir, dass besser auf die Bauherren und vor allem flexibler und praktischer auf die Bausituationen eingegangen wird. Ich erlebe es, dass Fördermittel im Oktober ausgeschüttet werden, die zum Beispiel für die Außenhaut eines Gebäudes vorgesehen sind. Jedoch kommt man am Ende des Jahres schon jahreszeitenbedingt mit Umsetzungen an seine Grenzen. Da hat man dann zwar das Geld, aber kann nicht bauen, weil es vielleicht schon zu kalt werden könnte, geschweige denn, dass Handwerker sofort Gewehr bei Fuß stehen. Abgerechnet werden muss jedoch bis Ende des Jahres, damit die Fördergelder nicht verfallen. Diese Stresssituation für Bauherren, Handwerker und das Gebäude selbst, das muss einfach nicht sein. Ich glaube, das geht auch anders und besser zu lösen. Aktuell mach ich die Erfahrung, dass zwei hochgradige Denkmäler noch nicht einmal in die üblichen Sanierungsprogramme fallen, da diese weder dem ländlichen noch dem städtischen Raum zugeordnet werden. Die Investoren sind also schon standortbedingt von Grund auf völlig benachteiligt. Hier sind wir als Denkmalpfleger in der Pflicht, darauf aufmerksam zu machen, denn für diesen Sonderfall muss unbedingt eine Förderstruktur her. Es wäre also durchaus angebracht, nach den Erfahrungen aus den vielen Jahren, mal über ein Systemupdate nachzudenken.
Wie siehst Du die weitere Entwicklung?
Man darf ja davon ausgehen, dass sich auf dem Arbeitsmarkt einiges verändern wird, alleine schon aus dem demografischen Wandel heraus und zukünftig durch die Digitalisierung. Es gibt jetzt schon Motivationen, bei denen es nicht mehr lediglich um einen konkreten Beruf geht, sondern um Berufungen, also gerade im freiberuflichen Sektor. Dass man sich viel flexibler mit seinem Können aufstellt und dass man sich nicht nur auf einen einst erlernten und definierten Beruf beschränkt. Auf den allgemeinen Wandel und die neuen Trends muss aber auch politisch regiert werden. Hier grundsätzlich gemeinsam bessere oder neue Modelle zu entwickeln, dafür wäre jetzt die richtige Zeit. Gerade auch heute, wo sich nachweisbar die reifere Generation zu großen Teilen lediglich nur noch bemüht, den Renteneintritt zu erreichen. Wir – also meine Generation – haben noch die nächsten 30 Jahre vor uns. Ich kann mir vorstellen, dass die Problemstellungen dann weitaus komplexer werden.
Was wir noch überhaupt nicht besprochen haben ist Deine Akquise. Wie muss ich mir das vorstellen bei einem Diplom-Restaurator Rayk Grieger? Wie kommt ein interessierter Baumensch auf Dich zu?
Als Diplom-Restauratoren sind wir hochspezialisiert. In der Regel sucht man uns dann, wenn wir gebraucht werden. Die Werbemedien spielen da, jedenfalls bei mir, kaum eine Rolle. Es gibt Listen, in denen die Diplom-Restauratoren registriert sind. Wenn jemand einen Diplom-Restaurator braucht, so fragt er bei den entsprechenden Einrichtungen nach und bekommt die Liste. Dort sucht er sich dann, je nach benötigten Spezialgebiet, einen Diplom-Restaurator aus und fragt diesen direkt nach seiner Fachkunde oder holt sich mehrere Angebote ein. Dann läuft es wie im normalen Wettbewerb. Wenn einem dann die Situation noch hold ist, ist man drin im Boot.
Ich denke, die wissenschaftliche und öffentlich wirksame Ausstrahlung, die unsere Arbeit ohnehin umgibt, hilft hier mehr, als Person an sich und als Berufsgruppe wahrgenommen zu werden. Diplom-Restauratoren präsentieren sich mit wissenschaftlichen Publikationen in Fachzeitschriften oder verfassen auch mal ganze Bücher. Weiterhin findet man die Diplom-Restauratoren bei Führungen durch Objekte oder sie stellen selbst Projekte in ihren Werkstätten und Ateliers öffentlich vor. Meistens an wichtigen Tagen wie „Tag der offenen Sanierungstür“ oder „Tag des offen Denkmals“. Gerade dieses Jahr, 2018 ist ja europäisches Kulturerbejahr , werden Diplom-Restauratoren mehr in der Öffentlichkeit stehen. Die aller zwei Jahre stattfindende Denkmalmesse ist auch eine wichtige Kommunikationsplattform. Nebenbei begleiten die Diplom-Restauratoren auch wichtige Ehrenämter und sind als Ratgeber viel gefragt.
Görlitz ist zwar Stadt, liegt jedoch – von Dresden, Leipzig und Chemnitz aus gesehen – im ländlichen Raum. Ist der ländliche Raum mehr Chance oder Hindernis für Deine Arbeit? Geht Vernetzung außerhalb von Görlitz in den kleineren Orten?
Wie gesagt, durch die Listen in den Behörden und Einrichtungen ist es egal, ob Stadt oder Land, die Situation ist die gleiche. Ich sag mal so, dadurch, dass Görlitz sehr übersichtlich ist, bleibt man hier länger in Erinnerung und versinkt nicht sofort wieder in der Anonymität der Großstädte. Das gilt auch für die ländliche Umgebung.
Der Internationalisierungsgedanke ist gerade in der Wirtschaft ein guter, sehr wirksamer Weg, begrenzte Krisen zu umschiffen. Wie ist das bei Dir? Wie international arbeitest Du? Neben Polen gibt es ja auch andere Länder. Treibt es Dich mit Deiner Arbeit über Grenzen?
Wenn ich gefragt werde, würde ich erst mal nicht nein sagen. Internationale Projekte bereichern einen persönlich ungemein. Sie tragen ja auch zum besseren Verständnis untereinander bei. Es ist immer wieder interessant zu beobachten, dass auf dieser Ebene alle sich untereinander respektieren und gut verstehen, sich kollegiale Verbindungen aufbauen und Freundschaften entstehen. Man fragt sich dann immer, was die Politik da so macht.
Ich persönlich versuche jedoch, nicht ganz so weit in der Weltgeschichte herum zu arbeiten. Internationale Projekte bedeuten oft ja auch, von Frau und Kind getrennt zu sein. In meinem Beruf ist man ohnehin viel unterwegs. Ich kann die Gebäude ja nicht mit nach Hause nehmen. Dennoch ist es mir wichtig, so viel und so oft in der Region Arbeit zu finden, gerade jetzt, solange mein Kind einfach auch beide Elternteile im täglichen Umfeld braucht. In der heutigen, expandierenden Wirtschaft und Gesellschaft ist es ja für viele Unternehmer und Arbeitnehmer leider schon ein Luxus geworden, tagtäglich auch zu Hause zu sein.
Woran arbeitest Du am Liebsten? Es gibt ja bei jeder Beschäftigung Herzensthemen, denke ich mal.
Neben dem, dass ich schon so einige Projekte restauriert habe, finde ich mich in den letzten Jahren immer wieder in der Grundlagenermittlung, also dem Erforschen von Baudenkmalen und Architekturoberflächen wieder. Ich schreibe Konzepte zu den denkmalpflegerischen Herangehensweisen, gebe fachliche Empfehlungen und baue Förderkulissen mit auf.
In dieser Vorstufe aller praktischen Arbeit fühle ich mich sehr wohl. In den letzten Jahren kam dann das gesteigerte Interesse an der Architekturmoderne des letzten Jahrhunderts und die Industriearchitektur hinzu. Kombiniert mit Gesellschaft- und Stadtentwicklung ist das ein sehr spannendes Themengebiet.
Gibt es unternehmerische Ziele? Willst Du expandieren? Größer werden? Oder treibt Dich die Maximierung überhaupt nicht an? Erzähle mal bitte…
Ziel ist grundsätzlich, nicht stehen zu bleiben. Was die Unternehmensstruktur an sich angeht, so habe ich nicht vor, diese in absehbarer Zeit zu ändern. Ich passe lieber die Arbeitsweise dynamisch der Situation an. Viele Aufgaben kann ich allein bewerkstelligen. Bei größeren Projekten baue ich mir dann ein Team zusammen. Ich bin aber auch immer wieder gern ein Teil eines Teams, wenn andere Kollegen mich brauchen.
Erst mal schauen, wo sich Europa und die Welt so hin entwickeln, dann kann man immer noch darüber nachdenken, ob und wie man sich vergrößert. Immer mit der Ruhe.
Danke Rayk, für Deine Antworten.
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