Unter #flächenglühen stellt Volly Tanner im Auftrag von Kreatives Sachsen, dem Sächsischen Zentrum für Kultur- und Kreativwirtschaft, regelmäßig Kreativschaffende aus städtischen und ländlichen Räumen Sachsens vor. Im Rahmen von Interviews erfragt er die Gründungsintensionen, Unternehmensphilosophien sowie Herausforderungen und Chancen aus der Innenperspektive. Dieses Mal wird Stephanie Oppitz von der Windelmanufaktur vorgestellt. Sie ist Gründerin, Produktentwicklerin und Problemlöserin. Mit einem mitwachsenden Produkt gegen wachsende Müllberge. Das klingt erstmal einfach, ist aber genial!

Guten Tag, Stephanie Oppitz. Du bist Chefin der Windelmanufaktur in Dresden. Windelmanufaktur..? Ich habe da ein bisschen recherchiert und jetzt weiß ich es: Du kreierst ein ökologisches Windelkonzept in nachhaltig, bunt und wiederverwendbar. Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Im Prinzip relativ cool! Unsere Stoffwindeln sind zwar im Sinne der klassischen Stoffwindel waschbar und wiederverwendbar, aber damit erschöpfen sich die Gemeinsamkeiten auch schon. Wir haben eine dreiteilige Stoffwindel geschaffen und den formgebenden, den nässeschützenden und den saugenden Teil voneinander getrennt. Das klingt erstmal einfach, ist aber genial: Somit ist die Manufakturwindel perfekt anpassbar an jedes Kind und jedes Bedürfnis. Und die einzelnen Materialien können für jeden individuellen Fall passend eingesetzt werden.

Nun sagen viele Eltern beim Gedanken ans Windeln jenseits industrieller Windeln: „Oh Gott, soviel Zeit habe ich doch gar nicht!!!“. Was entgegnest Du denen?

Soviel Zeit wie heute haben Eltern noch nie mit ihren Babys verbracht. Dank Mutterschutz und Elterngeld ist es möglich, in der ersten Zeit wirklich zuhause zu bleiben. Dass diese Zeit sinnvoll genutzt werden sollte, ist aber auch klar – und damit sind wir beim Zeiteinsatz für das Windeln mit Stoff. Der Vorgang des Windelwechselns verbraucht gleich viel Zeit, egal für welches Windelmodell man sich entscheidet. Und ob man lieber alle vier Tage wäscht oder in den Laden fährt und Windelpakete schleppt und sie zur Tonne bringt nimmt sich in Summe rein gar nichts. Dass man für Stoffies mehr Zeit braucht, ist leider ein Ammenmärchen aus der Zeit der großen Windeltücher, die noch kompliziert gefaltet werden mussten.

Du bist ja aus eigenem Leidensdruck zur Windelmanufaktur gekommen, hast davor Architektur studiert und gerade promoviert. Was waren die auslösenden Momente?

*lacht* Das war unser Urlaub an der Ostsee. Als ich bei meinem ersten Kind mit einer Neurodermitis und einem häufig wunden Po konfrontiert war, lag der Gedanke, dass die Probleme vielleicht vom Klima in Wegwerfwindeln begünstigt werden könnten, noch in weiter Ferne. Ich trocknete und cremte und tat das, was man eben so tut, ärgerte mich aber massiv über diesen nervenaufreibenden Kreislauf und litt mit meinem Sohn mit. Meine erste Tochter Josephine wurde geboren als Alexander zwei Jahre alt war und knapp zwei weitere Jahre darauf folgte unsere kleinste Tochter Henriette. Alle drei Kinder trugen zu diesem Zeitpunkt Wegwerfwindeln. Müllbeutel um Müllbeutel wurde hinaus zur Tonne getragen und irgendwie machte sich das Gefühl breit, dass es das nicht sein kann. Die Situation in der uns klar wurde, dass es mit den Wegwerfwindeln so nicht weitergehen konnte, sehe ich noch heute klar vor mir: Ein Urlaub zu fünft. Es war Winter und die Kinder waren gerade vier bzw. zwei Jahre und Henriette zwei Monate alt. In unserer Ferienwohnung an der Ostsee musste der Müll über die Urlaubswoche hinweg gesammelt werden… Und plötzlich standen da Müllberge, die uns Eltern sprachlos machten. Wir hatten einen riesigen Berg von Windelmüll produziert. Es war wirklich unglaublich. Diesen Moment, wie wir versuchen Tüte um Tüte voller Windelmüll in das Auto zu laden, um den Müll nach der Urlaubswoche zum Entsorgungsplatz zu fahren, den werde ich nie vergessen. Bisher war uns das Ausmaß gar nicht so bewusst gewesen, denn wer sammelt schon den Windelmüll von drei Kindern über eine ganze Woche hinweg? Ein Freund, der den Urlaub mit uns verbrachte, sprach aus, was alle dachten: „Wir waten hier knietief im Müll.“ Meinem Mann Volker und mir fiel es wie Schuppen von den Augen: Da bemühen wir uns jahrelang um ein nachhaltiges und umweltverträgliches Leben und wollen unseren Kindern ein gutes Vorbild sein. Aber bei den Windeln waren wir noch keinen Schritt in die richtige Richtung gegangen.

Du hast derzeit 11 feste MitarbeiterInnen. Das impliziert ja, dass der Rubel rollt. Auch im Ausland? Wie stemmst Du den Vertrieb?

Dafür habe ich wundervolle Menschen. Im Ernst: Wir sind top organisiert und arbeiten ständig daran, uns zu verbessern. Meine Mitarbeiterin Ricarda hat die Packstation perfekt organisiert und packt vormittags die Windelpakete liebevoll zusammen. Mittlerweile kommt DHL jeden Tag zu uns und holt die Pakete ab, denn bei uns wird jeden Tag verpackt und versendet. Dank einigen online-tools und der Integration des Label-Drucks von DHL in unsere Arbeitsorganisation sind wir da wirklich gut aufgestellt. Wie in einer kleinen Eisdiele reichen wir dann unsere „heiße Ware“ dem Fahrer direkt aus dem Fenster heraus. Zu unserem Versand bekommen wir übrigens viel positives Feedback, denn wir haben viele Kunden, die uns ihre alten Kartons zur Weiterverwendung bringen und diese gehen mit einem kleinen Aufkleber versehen – um die Kunden zu informieren, dass wir der Umwelt zuliebe Kartons wiederverwenden – gleich wieder auf den Weg.

Um eine solche Firma aufzubauen und erfolgreich zu führen, braucht es ja bestimmt Geld. Hattest Du finanziellen Vorlauf oder einfach immer wieder Gewinne reinvestiert? Die Nähmaschinen kosten ja auch Geld.

Das stimmt. Aber das war relativ einfach. Und ich bin einen Schritt nach dem anderen gegangen. Am Anfang habe ich alles alleine gemacht mit der alten DDR-Nähmaschine meiner Schwiegermama. Und dann habe ich die Firma Stück für Stück aufgebaut. Ich habe ein paar Meter Stoff gekauft, Windeln genäht, alles in Heften protokolliert. Dann wieder diese Windeln verkauft, neuen Stoff gekauft und immer so weiter. Bis es dann Excel-Listen gab, dann eine neue Nähmaschine, dann eine einfache Homepage. Immer so wie ich es bewältigen konnte. Was mir sehr geholfen hat, ist die Tatsache, dass mein Mann Betriebswirtschaftler ist und sich super mit Zahlen auskennt. Ohne seine genauen Berechnungen und seinen Überblick hätte ich den meinigen wohl schnell verloren. Er hat mir geholfen, ganz genau zu kalkulieren und die Firma in jeder Phase ökonomisch gesund zu halten. Zwar sind wir dadurch eben langsam gewachsen, aber dafür ohne Fremdkapital. Das ist mir wichtig. Trotz einiger Angebote muss ich nämlich zugeben: Ich bin Unternehmerin aus Leidenschaft und ich will die Verantwortung und die Entscheidungskraft in meiner Firma nicht abgeben.

Ab diesem Herbst gibt es eine neue Produktpalette zum Thema Damenhygiene. Kannst Du uns dazu bitte mehr erzählen?

Sehr gern. Schon von Anfang an hatten wir das „Problem“, dass Frauen traurig waren, wenn die Kinder trocken wurden und sie nicht mehr mit unseren Windeln wickeln konnten. Ich weiß, das klingt absurd! Es ist aber wirklich so. Und immer mehr Frauen fragen sich, warum wir uns bei unseren Kindern so viele Gedanken wegen der Chemikalien im Genitalbereich machen. Aber wir Frauen nutzen bei uns selbst Monat für Monat die Wegwerfartikel. Lange Rede, kurzer Sinn – so waren unsere Damenprodukte geboren. Wir nutzen sie jetzt selbst seit einigen Jahren und im Shop sind sie seit zwei Jahren und werden super angenommen. Man muss sich die Produkte so ähnlich wie die Wegwerfeinlagen und Wegwerfbinden vorstellen – nur eben in schön, in angenehm und in waschbar. Inzwischen ist die Produktpalette so ausgereift und wird so gut angenommen, dass wir die Windeln und die Damensachen trennen wollen und eine neue Marke entwickelt haben. „Von Ocker Und Rot“ wird Ende dieses Jahres mit einem eigenen Onlineshop an den Markt gehen und wir freuen uns riesig darauf!

Im Vorfeld dieser Ausweitung hast Du mit einer Werbefirma zusammengearbeitet und ein Konzept erstellt. Mit wem und warum gerade mit diesem Team?

Ja, das war eine tolle Erfahrung! Die Agentur Cromatics aus Dresden kommt aus dem Street- und Jugendbereich und wir finden, dass das inhaltlich perfekt passt. „Von Ocker Und Rot“ ist perfekt für selbstbewusste Frauen, die sich etwas Gutes tun wollen.

Du willst Deine Erfahrungen auch als Coach für die Initiative “Unternehmerinnen der Zukunft” weitergeben. Wie konkret?

Wir haben letztes Jahr bei Amazon im Wettbewerb „Unternehmer der Zukunft“ den Preis für die beste Markenbildung gewonnen und sind da auch mächtig stolz darauf. Ohne unsere Coaches dort und unsere Mentoren und Mentorinnen wären wir nie so weit gekommen! In unserem „Businessuniversum“ ist es selbstverständlich, dass man die gute Energie auch weitergibt und ich coache selbst schon zwei Firmen. Als dann die Anfrage von Amazon kam, ob wir dort dabei sein wollen, war unsere Antwort klar. Ich freue mich auf die Energie und die Pläne der Bewerberinnen der nächsten Runde! Übrigens geht unsere Bewerbungsfrist noch bis zum 31.12.2017. Und wir freuen uns noch auf ganz viel mehr tolle Bewerberinnen! Die Chancen in der digitalen Wirtschaft sind groß und besonders für Frauen eine gute Möglichkeit, Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Wenn hier also jetzt Unternehmerinnen mitlesen, die online durchstarten wollen – sei es, weil sie sich eine online-Präsenz aufbauen wollen, weil sie noch ganz offline sind oder weil sie international tätig sein wollen – dann bitte bewerbt Euch! Ich freue mich auf jede einzelne Bewerberin!

Hast Du auf die hiesige sächsische Förderkulisse Zugriff genommen? Wenn ja wie?

Ja, das habe ich gemacht. Die Programme sind sehr vielfältig und über die Sächsische Aufbaubank konnten wir zwei Projekte super mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds teilfinanzieren. Das hat uns wirklich geholfen!

Mit den Angeboten der Windelmanufaktur reagierst Du auf Probleme des Alltags, zum Beispiel das extreme Windelmüllaufkommen. Und Windeln vergammeln ja nicht einfach über zwei Monate im Gartenkompost. Daneben fördern staatliche Wirtschaftsunterstützer auch die “Mehr-Mehr-Mehr-Wachstums”-Ideologie. Ist das nicht ein Unding, völlig inkonsequent? Ist Nachhaltigkeit in der Kreativität in unserem Wirtschaftssystem eigentlich überhaupt machbar?

Darauf möchte ich so antworten: Wir sind total konsequent. Mit uns ist es noch einfacher und günstiger, Babys korrekt und jederzeit hygienisch zu windeln, was wiederum die finanzielle Belastung für Familien senkt. Vielleicht animiert das ja zu mehr Babys? Soweit können wir natürlich nicht gehen mit unseren Wünschen, aber dennoch: Nachhaltigkeit und Kreativität haben eine Chance, wenn sie nicht Selbstzweck sind, sondern wirklichen Mehrwert schaffen.

Wie vernetzt Du Dich? Oft, wenn ich sage: „Ich war in Dresden bei der Windelmanufaktur.“ sagt meine Gegenüber: „Ach ja, bei der Stephanie!“ Und selbst der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig kommt zu Dir zum Windelanfassen.

Ich liebe Kommunikation! Und jeder, der mich kennt, der weiß das. Ich bin mit sehr vielen Menschen vernetzt, weil ich es liebe, Menschen zu begegnen und ihre Sicht auf die Welt kennen zu lernen. Sicher hilft mir meine entspannte Haltung auch, wenn ich auf neue Menschen zugehe: Ich behandele jeden gleich und versuche etwaige Vorurteile immer wieder abzubauen. Unser Team hier besteht aus 11 Mitarbeitern aus sechs Nationen und sechs Religionen. Ich liebe diese Vielfalt!

Wenn Du NeueinsteigerInnen, jungen Start-ups oder Kreativen einen Rat geben könntest, einen immer nachnutzbaren Rat, welcher wäre das?

Da hätte ich einiges auf Lager. Am wichtigsten ist es, von vornherein gründlich zu wirtschaften und seine Zahlen zu kennen. Die schönste Idee ist nichts wert, wenn die Kalkulation in der Realität nur heiße Luft ist. Und: Konkurrenz belebt zwar das Geschäft, aber ich bin eng vernetzt und sogar befreundet mit einigen unserer Mitbewerber und wir können – zum Beispiel bei gemeinsamen Bestellungen – einige Synergieeffekte nutzen.

Hattest Du schon mit Kreatives Sachsen zu tun? Wenn ja, was hältst Du von dessen Arbeit?

Ich gehe sehr gern zu deren Vorträgen und lasse mich immer wieder neu inspirieren. In Summe ist deren Arbeit aber für mich noch relativ neu und ich bin sehr gespannt, wie wir in der Kreativbranche dort zusammenarbeiten können.

Stell Dir vor, Du hättest die Möglichkeit die sächsische Wirtschaftspolitik wirklich zu beeinflussen. Was würdest Du tun?

Ich würde bessere Netzwerke schaffen, um die Fachkräfte in die passenden Jobs zu bekommen, glaube ich. Wir haben hier viele offene Stellen und auf der anderen Seite viele tolle Bewerber. Aber oft findet man sich nur über Zufälle. Über das Arbeitsamt haben wir beispielsweise noch nie jemanden gefunden! Weiterhin bietet die Digitalwirtschaft meiner Meinung nach vor allem für Frauen sehr große Chancen – nur vielen fehlt eine Mutmacherin, eine Frau, die gerade schon den einen Schritt weiter ist, den man sich selbst noch nicht traut. Dort würde ich meine Kraft gern unterstützend anbieten.

Du würdest da gerne Deine Kräfte unterstützend anbieten? Ja, aber wie konkret? Erzähl mal bitte.

Martin Dulig, der Sächsische Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr und ich haben ein paar Ideen. Aber es ist noch nichts spruchreif.

Dann will ich Dich mal nicht weiter von Deiner Arbeit abhalten, Stephanie. Was Du dann da mit Martin Dulig ausklamüsert hast, erfahren wir ja dann über die sozialen Kanäle. Danke für die Antworten.

 

Weiteren Informationen zur WindelManufaktur Stephanie Oppitz